Hallescher Turm

Zörbig

Neben der Burganlage der Wettiner, die durch Mauer und tiefen Wassergraben geschützt war, machten es sich die Zörbiger Einwohner ebenfalls zur Aufgabe, ihre Stadt mit Zustimmung und Unterstützung des Landesherrn in verteidigungsfähigen Zustand zu versetzen, sie umgaben die Stadt mit einer Mauer, Wällen und Wassergräben. Im Norden und Osten wehrten 2 Gräben und 2 Wälle den Angriff feindlicher Truppen. Den Zugang zur Stadt sicherten drei Tore, das Heidetor im Osten, das Leipziger Tor im Süden und das Hallesche Tor im Westen. Zörbig lag immerhin an der Kreuzung der Handelsstraße von Magdeburg nach Leipzig und der Salzstraße von Halle in östlicher Richtung. Die unsicheren Zeiten vergangener Jahrhunderte machten diese Stadtbefestigungen notwendig. Im Zusammenhang mit ihrer Verbesserung wurde nach 1550 eben das Hallesche Tor erbaut und an der Nordseite durch den Hausmannsturm ergänzt. In der Türmerwohnung hinter den Renaissancegiebeln gelegen, wohnte der Hausmann oder Wächter. Er hatte anfangs die Stunden zu schlagen und Alarm zu geben, wenn Feinde oder ein Feuer die Stadt bedrohten. Später musste er auch die Uhr des Turmes ordentlich warten. Diesen Dienst versah der Türmer neben anderen Aufgaben bis 1891. Die Wohnung ist so groß wie die Grundfläche des Turmes. Sie besteht aus einem kleinen Flur, einer Küche, einer Wohnstube mit Einbauschrank und einer Schlafkammer. Winzig klein alles.

Das Brauchwasser musste aus einem nahen Brunnen heraufgeschafft werden, die "Sanitäranlage" befand sich in Höhe des Torgiebels auf der Nordseite des Turmes in Form von 2 festen Porphyrkonsolen mit hölzernem Überbau. Die Fäkalien fielen „im freien Fall“ nach unten, „extra muros“ versteht sich und dem Brauch der Zeit entsprechend. Der Türmer war gleichzeitig der Stadtpfeifer oder Stadtmusikus. Seine Gesellen und Gehilfen wohnten im Torhaus. Sie hatten in der Kirche und bei Festlichkeiten in der Stadt die musikalische Gestaltung zu übernehmen. Die sparsamen Zörbiger hatten für den Bau des Turmes die Steine der ehemaligen nahen Hospitalkapelle, die abgebrochen worden war, verwandt. Der Turm hat einen quadratischen Grundriss von ca. 6 m Seitenlänge und besitzt bis zur Wetterfahne eine Höhe von 36 m. In der Mitte des Daches ist die Laterne aufgeführt, in der die Schlagglocke aus dem Jahr 1610 hängt. Ihr Durchmesser beträgt 83 cm. Die Turmuhr - jetzt elektronisch gesteuert - besitzt zwei Zifferblätter, nach Osten und nach Westen. Sie schlägt halbe und ganze Stunden. In Zörbig ist es eine alte Regel, dass man die Bohnen nur so tief in die Erde stecken dürfe, dass sie noch die Glocke vom Halleschen Turm schlagen hören können.

Dieser Turm hat nun inzwischen fast ein halbes Jahrhundert überdauert. In seinem ersten Jahrhundert musste er den 30jährigen Krieg von 1618 - 1648 überstehen, der auch Zörbig nicht verschonte. Die Kriegsschäden am Turm konnten bereits 1653 ausgebessert werden. Über diese Arbeiten fertigte man ein Dokument an. das in einer Kupferhülse in der Turmkugel unterhalb der Wetterfahne niedergelegt wurde. Es gibt darüber Auskunft, dass der Schieferdecker-Meister Carl Jacob aus Köthen diese Arbeiten übernommen hatte. Ferner wurden die Namen der Mitglieder des Rates und prominenter Zörbiger Persönlichkeiten festgehalten. Den Bürgern der Stadt wurde nach Wiederherstellung der Turm mit "Trompeten- und Paukenschall" übergeben, dazu ertönte der Choral "Nun danket alle Gott".

1777 war eine neuerliche Dachreparatur am Turm notwendig. Die nächste erfolgte, als der Turm fast 300 Jahre alt war. Seit 1853 mehrten sich die Ausbesserungsarbeiten am Turmdach und der Spitze. 1905 arbeiteten der Schieferdeckermeister H. Wolf aus Niemberg und der Zörbiger Klempnermeister Hermann Eisentraut an dem Hausmannsturm. Zwischenzeitlich war das Stadttor abgebrochen worden und der Putz begann merklich zu bröckeln. Mitte des 19. Jahrhunderts hatte man auch in Zörbig begonnen, die Stadtbefestigungen zu beseitigen, sie waren militärisch und politisch überflüssig geworden, mitten in Deutschland gab es nun keine Fehden oder Kriege der einzelnen deutschen Kleinstaaten untereinander mehr. Bis auf einen kleinen Rest brachen deshalb die Zörbiger ihre Stadtmauer ab, verfüllten die Gräben und ebneten die Wälle ein. 1870 begannen die Bestrebungen, die Stadttore abzubrechen - zuerst waren die Torflügel ausgehängt worden - der Zugang zur Stadt war nun immer und für alle offen. Die preußischen Denkmalschutzbehörden hatten zwar Verordnungen erlassen, die es .geboten, historisch wertvolle Bauwerke, insbesondere die der Befestigungsanlagen
zu erhalten. Trotzdem setzte es der Zörbiger Magistrat , seit 1894 durch, auch das Hallesche Tor als letztes abzubrechen. Er begründete seine Maßnahme damit, dass ca. 600 Arbeitskräfte in den neu entstandenen Fabriken im Westen der Stadt tätig waren, die morgens und abends neben zahlreichen Fuhrwerken das Tor zu passieren hätten. Dabei erwies sich das Tor, das außerdem die hochgeladenen Erntewagen behinderte, als„Nadelöhr: Am 4. Februar 1897 war der Abbruch des Tores vollendet. Wenige Jahre zuvor hatte es der Fotografenmeister Schoch im Bilde festgehalten. Über die bereits erwähnte "angemessene Wiederherstellung des Turmes" nach Abbruch des Stadttores berichten weitere Papiere der Kupferhülse aus der Turmkugel. Eine Instandhaltung des Turmes konnte durch den ersten und den zweiten Weltkrieg nicht fortgesetzt werden. Erst 1955 gab es wieder Ausbesserungsarbeiten. In der ergänzenden Chronik wurde dann vermerkt, dass „1949 Gründung der DDR und allmählicher Wiederaufstieg durch Bodenreform, Schulreform, Verwaltungsreform etc.“ stattgefunden habe. Was
aus diesem „Wiederaufstieg“ geworden ist, mussten wir alle selbst erfahren. Die Schäden am Turm hatten inzwischen solche Ausmaße angenommen, dass sich eine grundlegende Sanierung erforderlich machte. Diese
setzten die Zörbiger Stadtväter 1992 ins Werk.
Auf der Grundlage der denkmalpflegerischen Zielstellung des Landesamtes für Denkmalpflege Sachsen-Anhalt wurde die Restaurierung vorgenommen. Unterstützt mit Fördermitteln aus dem Denkmalsicherungsprogramm des Bundes und des Landes Sachsen-Anhalt mit insgesamt 207.000 DM (127.000 DM vom Bund, 80.000 DM vom Land Sachsen-Anhalt) und von der Bundesstiftung für Umwelt in Osnabrück mit 179.136 DM. Das abschließende Gutachten der Denkmalschutzbehörde des Landes Sachsen-Anhalt spricht von einer denkmalgerechten Planung und Ausführung der Arbeiten, die zu einem beispielhaften Ergebnis führten.
Anlässlich des 2. Schloss- und Altstadtfestes wurde der Turm am 18. Juni 1993 den Zörbigern wiederum feierlich übergeben. An das „weiße Kleid“ des Turmes haben sich wohl inzwischen die meisten gewöhnt. Denn so, wie die Baumeister der Renaissance ihre Bauwerke mit Putz vor Witterungseinflüssen zu bewahren wussten, so ist auch am Halleschen Turm in Zörbig nur der ursprüngliche Zustand wiederhergestellt worden. Zur alten Dokumentation kam ein Überblick über die lokalen Ereignisse der letzten 100 Jahre. Alle Dokumente sind jetzt in zwei Plastekapseln verwahrt. Ein Stadtplan und ein „Zörbiger Bote“ vom Januar 1993 vervollständigen zusammen mit einigen Geldscheinen diese Dokumentation. Nun kann das Bauwerk - ein Jahrhunderte altes Wahrzeichen der Stadt Zörbig getrost in das neue Jahrtausend hinüber sehen.