Pfarrer Walter Reiche
Walter Reiche wurde am 6. Januar 1913 in Kainscht, Kreis Meseritz, als Bauernsohn geboren. Nach dem Besuch des staatlichen Gymnasiums mit Abitur begann er Ostern 1934 sein philosophisch-theologisches Studium an der Staatlichen Akademie zu Braunsberg / Ostpreußen. Später setzte er das Studium an der Universität zu Freiburg / Breisgau fort. Am 8. Dezember 1939 wurde er durch den Sl. Bischof Maximilian Kaller in Schneidemühl zum Priester geweiht. Die Primiz feierte er in seiner Heimatgemeinde, in der Klosterkirche in Paradies. Schon in dieser Zeit wurde er unmittelbar mit menschenverachtenden Ideologien und Diktaturen konfrontiert, was sicherlich nachhaltig sein weiters Leben prägte.
Nach seiner priesterlichen Tätigkeit in Lauenburg / Pommern und in der 9000 Seelen zählenden polnischen Gemeinde Sierakowitz wirkte er nach seiner Umsiedlung, bzw. Vertreibung, für vier Monate ab dem 1. Januar 1946 als Vikar in Sangerhausen. Am 10. Mai 1946 kam er zusammen mit seiner Schwester, Frau Irene Meißner, nach Zörbig um die vakante Pfarramtsstelle als Pfarrvikar zu besetzen. Die Einführung des neuen Seelsorgers in Zörbig geschah am 12. Mai 1946, 17 Uhr durch ein Levitenamt mit Dechant Reimetz aus Bitterfeld und Pfarrer Lucas aus Sandersdorf. Seit dieser Zeit wirkt und wohnt Herr Walter Reiche ununterbrochen in Zörbig. Die Ernennung zum Pfarrer und zum Geistlichen Rat waren weitere Höhepunkte seines Lebens.
Vor allem in den Jahren nach dem Krieg war er durch seine Engagement bei der Integration und Einbürgerung von tausenden Flüchtlingen und Vertriebenen unermüdlich in Zörbig und Umgebung tätig. Durch den ständigen länderübergreifenden Kontakt von Zörbig aus nach Polen in die Regionen Sierakowitz und Schneidemühl, verbunden mit einer direkten materiellen Hilfe der polnischen Bevölkerung, war er schon wenige Jahre nach dem Krieg ein großer Verfechter der Aussöhnung zwischen dem deutschen und dem polnischem Volk.
Nach der politischen Wende leitet und moderiert er in den Jahren 1989/99 den "Runde Tisch" und schuf damit bei der Umgestaltung der Gesellschaft eine friedliche und sachorientierte Atmosphäre.
Unter seiner Intention kann es zum Bau des Caritas-Altenpflegeheim "St. Vinzenz" in Zörbig und damit Schaffung einer würdigen Heimat für viele alte und pflegebedürftige Menschen. Eng mit Caritas-Neubau ist auch der Erhalt von über 30 Arbeitsplätzen verbunden. Materielle Unterstützung von Zörbiger von Institutionen und Vereinen, wie zum Beispiel die beiden Kindergärten, Heimatmuseum, Heimatverein, Seniorenweihnachtsfeier der Stadt, Freiwillige Feuerwehr, usw. waren für ihn selbstverständlich. Dabei hielt er stets einen glaubens- und konfessionsübergreifenden Kontakt zu allen Bürgerinnen und Bürgern der Stadt.
Nachhaltig für sein späteres Leben und Wirken prägte ihn auch die Zeit im damals von den Deutschen besetzten Polen und so ist es fast folgerichtig, dass die enge Beziehung zwischen Pfarrer Reiche und seiner damaligen polnischen Gemeinde immer bestand. 1999 erfuhr diese völkerüberspannende Beziehung einen Höhepunkt, denn seine damaligen Pfarrkinder luden ihn nach Polen ein. Sierakowitz, das in der Nähe von Danzig liegt, hatte sich herausgeputzt. Ganz besonders die Kirche St. Martin. Dort wirkte Pfarrer Reiche in den schweren Kriegsjahren. Der Jubilar erhielt die Gelegenheit, schon dort mit seinen Sierakowitzern und gemeinsam mit dem jetzigen Pfarrer dieses Gotteshauses, Jerzy Mroczynski, sowie dem zuständigen Dechanten Ryszard Stomowitz das 60.
Priesterjubiläum mit allen Ehren vorzufeiern. Und wenn die kaschubischen Menschen feiern, dann feiern sie richtig. Die kleine Zörbiger Abordnung, die Pfarrer Reiche begleitete, kam aus dem Staunen nicht mehr heraus. Doch mit der kirchlichen Feier ließen es die Sierakowitzer noch lange nicht bewenden. Walter Reiche erhielt noch eine weitere Auszeichnung. Für seine aufopferungsvolle Tätigkeit in schwerster Kriegs- und Nachkriegszeit vor über fünfzig Jahren im polnischen Ort Sierakowitz wurde er im Rahmen eines Empfangs durch Bürgermeister Tadeusz Kobiela mit der Ehrenbürgerschaft der Gemeinde Sierakowice ausgezeichnet. Solch eine Ehrung für das Wirken eines Deutschen im damals besetzten Polen dürfte überaus selten sein.
Trotz Erreichung des Rentenalters blieb er der Stadt Zörbig treu. Nach dem Ausscheiden aus dem Berufsleben bezog Walter Reiche in der Lindenstraße seinen Altersruhesitz. Für seine Verdienste zeichnete ihn Ende des Jahres 1999 der damalige Ministerpräsident des Landes Sachsen-Anhalt, Dr. Reinhard Höppner, im Auftrag des Bundespräsidenten mit dem Verdienstkreuz am Bande des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland aus. Am 5. Januar 2000 wurde ihm in Verbindung mit seinen "Diamantenen" Priesterjubiläum durch den Zörbiger Stadtrat die Ehrenbürgerschaft übertragen. Pfarrer Walter Reiche verstarb im hohen Alter nach Vollendung des 90. Lebensjahres am 14.08.2003. An seinem Requiem nahmen über 1000 Gäste teil und den Trauerzug zum Grab auf den Zörbiger Friedhof begleiteten über 650 Personen. Ihm zu Ehren wurde 2006, unweit der St. Antonius-Kirche und damit seiner langjährigen Wirkungsstätte, eine Straße benannt.